Wir haben vor der Präsidentschaftswahl eine Zahl deutscher Bürgerinnen und Bürger sowie Politikerinnen und Politiker über ihre Assoziationen mit den USA sowie ihre Hoffnungen für die US-deutschen Beziehungen befragt. So unterschiedlich die Meinungen waren, so eindeutig war gleichzeitig eine gemeinsame Botschaft: Ohne die USA geht es nicht. Das ist allerdings erst der Anfang und nicht das Ende einer deutschen Debatte.
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November 2020, US-Präsidentschaftswahlen. Die ganze Welt blickt auf die USA, so auch wir in Deutschland. „Wie geht es weiter mit der atlantischen Gemeinschaft?“, fragen sich einige. Für viele ist klar, dass es nur besser werden kann, wenn Trump aus dem Amt gewählt wird. Zu lange, so denken viele, wurde im Weißen Haus gelogen, betrogen und respektlos mit der Welt – einschließlich Amerikas Partnern – umgegangen. Unzählige Zeitungen malen sich aus, wie die USA bis 2024 wohl aussehen würden. In den Projektionen schwingt eine klare Nachricht mit: Wir erwarten mehr von den USA. Viele in Deutschland sind enttäuscht von einem Land, das aber gleichzeitig noch immer viele Sehnsüchte zu wecken scheint. Da stellt sich die Frage, was wir eigentlich von den USA wollen?
Um genau das zu beantworten, haben wir über 30 Personen gebeten, uns in 30 Sekunden 3 Fragen zu beantworten: Was verbindet ihr mit den USA? Was haben Deutschland und die USA gemeinsam? Und was sind eure Hoffnungen für die Zukunft der der beiden Länder? Herausgekommen ist eine erstaunlich diverse Collage aus Stimmen von Bürgerinnen und Bürgern, Expertinnen und Experten und aktiven sowie ehemaligen Politikerinnen und Politikern. Doch so stark die Unterschiede, so klar die gemeinsame Erkenntnis: Ohne die USA geht es nicht. Unser Projekt hat einige Lektionen hervorgebracht, von der die deutsche Politik lernen kann.
Lessons Learned: Die USA machen viel falsch, aber sie bleiben unser großer Partner
Eines scheinen viele Deutsche gleich zu empfinden: Die USA müssen sich ändern. Sie wünschen sich mehr Respekt im Umgang mit Europa, endlich wieder einen Dialog auf Augenhöhe, mehr Vertrauen und eine Rückbesinnung auf Werte, die den Westen doch ausmachen: Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte. Dies ist ein erstes Ergebnis unserer Befragung: Beinahe alle wünschen sich eine Rückkehr in eine Zeit, in der die USA und Europa als Freunde schienen und zusammen nach dem Guten strebten.
Aber nicht nur in den internationalen Beziehungen scheinen die USA für viele Nachholbedarf zu haben. Auch werden viele innenpolitische Probleme Amerikas benannt: Rassismus, Rechtspopulismus und gar -extremismus, Polarisierung, Ungleichheit und Überfluss. Der amerikanische Traum scheint sich in der Betrachtung vieler zum Albtraum entwickelt zu haben. Insbesondere unter Präsident Trump habe sich diese Entwicklung verstärkt. Die zweite Lektion unseres Projektes ist es daher, dass man den aktuellen Dynamiken in den USA besorgt, wenn nicht sogar entsetzt, gegenübersteht.
Doch trotz allem betrachten wir die USA in vielen Sphären augenscheinlich als Vorbild. Ein Land, dessen Identität nicht auf Herkunft beruht, sondern auf einer Idee mit dem universellen Anspruch, dass jeder Mensch frei ist, gleich vor dem Gesetz steht und durch seine Stimme die politische Zukunft seines Landes gestalten kann. Dieses Selbstverständnis, formuliert in einer über 200 Jahre alten Verfassung, inspiriert bis heute. Gleichzeitig bewundern wir den Unternehmergeist der Amerikaner und erstaunen ob ihrer innovativen Kraft, sich immer neu zu erfinden. Das resultierende Selbstbewusstsein der USA wirkt manchmal übertrieben und befremdlich. Viele unserer Befragten zeigten ein Unverständnis bezüglich amerikanischer Gegebenheiten im Bereich der Krankenversicherung, sozialer Gleichheit und Gewalt. Doch der Optimismus, den das Land auf einige von uns ausstrahlt, scheint zu verfangen. Die dritte Lektion unserer Befragung lautet somit, dass viele von uns trotz aller Kritik doch noch immer den USA zugeneigt sind.
Schließlich gibt es noch eine letzte große Feststellung, die wir aus diesem Projekt ziehen können. Sie ist zentral und umfasst sowohl US-Kritiker als auch US-Enthusiasten, sie vereint jung und alt und sie ist themenübergreifend: Kein einziger der Befragten wünscht sich für die Zukunft eine Entkopplung von den USA. Im Gegenteil, die Beziehungen sollen intensiviert werden.
Ja, wir wollen, dass besser miteinander umgegangen wird. Ja, wir brauchen eine andere Kommunikation. Ja, die letzten Jahre waren nicht von ausschweifendem Optimismus geprägt. Aber jeder der von uns Befragten wünscht sich, dass wir trotzdem näher zusammenrücken, unsere Interessen und Ideen bündeln und gemeinsam, Schulter an Schulter, auf der Weltbühne auftreten. Die USA bleiben unser großer Partner, ganz gleich, ob wir uns über Ungleichgewichte in unseren Machtbeziehungen ärgern, ob wir schockiert von rassistischer Gewalt in den USA sind, ob wir die USA mit Freiheit und dem Streben nach Glück verbinden, oder eine Lektion in Unternehmertum erhalten wollen
Wenn man stolpert, fängt ein Freund einen wieder auf: Deutschland muss ein selbstbewusster Partner werden
Doch welche Konsequenzen sollte die deutsche Politik und Gesellschaft aus diesen Lektionen ziehen? Zugegeben, es wirkt auf den ersten Blick paradox: Wir sind unglücklich, wie die USA sich uns gegenüber verhalten haben und gleichzeitig wollen wir eng mit ihnen zusammenarbeiten. Wir schütteln den Kopf über soziale Ungleichheit und gleichzeitig wünschen wir uns, in vielen Bereichen mehr von den USA zu lernen und unsere Kompetenzen zu bündeln. Wir sehen uns als so verschieden an und sind doch in vielem gleich.
Eine Welt, die sich nicht einfach in Schwarz und Weiß trennen lässt, ruft bei vielen Unbehagen hervor. Es ist also kein Wunder, dass wir gleichzeitig über die USA irritiert sein können und sie uns näher an uns heran wünschen. Schließlich sind sie mit uns Europäern verbunden: Uns verbindet eine gemeinsame Ideengeschichte, ein gemeinsames Wertegerüst und – ein Punkt, der zu unterstreichen ist – ein gemeinsames geostrategisches Interessenbündel, nicht nur im Angesicht des Aufstrebens autoritärer Strömungen.
Genau hier finden wir den Punkt, an dem wir ansetzen können. Unabhängig davon, ob die USA sich nun im Kreise drehen und primär damit beschäftigt sein werden, sich im Inneren zu befrieden, oder ob sie weiterhin volatil mit ihren Partnern umgehen: Zuerst müssen wir Deutsche uns selbst verstehen. Wir müssen wissen, was wir von den USA erwarten. Dazu müssen wir uns mit uns selbst auseinandersetzen, was wir in dieser Welt wollen. Nur mit einer klaren Haltung, mit dem Ansprechen auch komplexer, unangenehmer und eventuell sogar widersprüchlicher Standpunkte sowie mit einem ehrlichen Dialog zunächst innerhalb von Deutschland und schließlich auch mit den USA ist es uns möglich, Schulter an Schulter mit unserem transatlantischen Partner die Probleme dieser Welt anzugehen.
Uns unterscheidet einiges von den USA. Doch mindestens genauso viel bringt uns zusammen. Was es benötigt, ist weder blinder Anti- noch Hurra-Amerikanismus. Vielmehr braucht es eine diverse Selbstreflexion unter allen Vertretern der deutschen Gesellschaft: Was ist uns wichtig? Wohin wollen wir? Wo teilen wir dieses Interesse mit den USA? Wo unterscheiden wir uns von den USA? Mit Ehrlichkeit und Standhaftigkeit schaffen wir es, die uns genannten Hoffnungen mit Leben zu füllen: Eine lebendige, freundschaftliche und respektvolle Beziehung mit den USA aufzubauen, in der sich Deutschland als selbstbewusster Kooperationspartner vorstellt. Der Weg zur atlantischen Gemeinschaft beginnt bei uns.